Stichproben­inventur

Erläuterungen zum Inventurverfahren

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Gesetzliche Grundlagen der Stichprobeninventur

Die Stichprobeninventur ist gemäß §241 Abs. 1 HGB ein seit dem 1. Januar 1977 zugelassenes Inventurvereinfachungsverfahren, um die Vollinventur zum Jahresabschluss durch anerkannte mathematisch-statistische Verfahren zu ersetzen. Dabei wird zwischen Hochrechenverfahren per Schichtenbildung und dem Sequenzialtest unterschieden.

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) brachte 1981 ein detailliertes Regelwerk heraus und auch von der Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung (AWV) wurden ergänzende Ausführungen veröffentlich, auf die wir in unseren Erläuterungen hinweisen.

§241 Abs. 1 HGB

„Bei der Aufstellung des Inventars darf der Bestand der Vermögensgegenstände nach Art, Menge und Wert auch mit Hilfe anerkannter mathematisch-statistischer Methoden auf Grund von Stichproben ermittelt werden. Das Verfahren muss den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen. Der Aussagewert des auf diese Weise aufgestellten Inventars muss dem Aussagewert eines auf Grund einer körperlichen Bestandsaufnahme aufgestellten Inventars gleichkommen.“

Dieser Absatz erlaubt zunächst einmal die Stichprobeninventur. Hierfür werden aber die folgenden Bedingungen auferlegt:

  • Die Stichprobeninventur muss den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen.
    Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW, 1981, S. 61) zählt hierzu auf:
    • Vollständigkeit
      Alle Lagerpositionen müssen erfasst sein, alle Stichprobenelemente müssen „vollständig aufgenommen und ausgewertet werden“ (IDW, 1981, S. 61).
    • Richtigkeit
      Die Stichprobenelemente müssen korrekt ausgewertet werden. Die Richtigkeit der Inventur als solche wird nach Auslegung des HFA durch einen entsprechend hohen Aussagewert der Stichprobeninventur gewährleistet.
    • Nachprüfbarkeit
      Die Planung und das Vorgehen der Stichprobeninventur muss dokumentiert werden und nachvollziehbar sein. Gleiches gilt für die Rechnungen, die schlussendlich zum Ergebnis der Stichprobeninventur führen.
    • Einzelerfassung der Bestände und bestandszuverlässige Lagerbuchführung
      Eine Einzelerfassung kann durch die Stichprobeninventur nicht geleistet werden. Eine als zuverlässig erwiesene Buchfortschreibung kann aber hier als ausreichend angesehen werden. Insbesondere schreibt (IDW, 1981, S. 62): „Es ist im Übrigen auch ausreichend, wenn die Lagerbuchführung im Laufe des Jahres nur art- und mengenmäßig geführt wird und am Ende des Jahres eine Bewertung der Einzelpositionen erfolgt.“
    • Körperliche Aufnahme der Bestände
      Da der einzelnen Stichprobe besondere Bedeutung zukommt, muss die körperliche Aufnahme besonders sorgfältig durchgeführt werden.
  • Für die Stichprobeninventur dürfen nur anerkannte mathematisch-statistische Methoden angewandt werden:
    „Als anerkannte mathematisch-statistische Schätzverfahren kommen für die Stichprobeninventur vornehmlich zwei Verfahrensgruppen in Betracht: die freien Mittelwertverfahren (einfach oder geschichtet) und die gebundenen Verfahren.“ (IDW, 1981, S. 65)
    • „Bei der Anwendung mathematisch-statistischer Testverfahren für die Stichprobeninventur wird die Ausgangshypothese (Nullhypothese) „Lagerbuchführung bestandszuverlässig“ gegen die Alternativhypothese „Lagerbuchführung nicht bestandszuverlässig“ unmittelbar mit Hilfe einer Zufallsstichprobe geprüft.“ (IDW, 1981, S. 66)
    • Insbesondere müssen alle Lagerpositionen „eine berechenbare, von Null verschiedene Chance haben (IDW, 1981, S. 65) “und es muss sich um ein „Zufallsstichprobenverfahren im Sinne der statistischen Methodenlehre“ (IDW, 1981, S. 65) handeln.
  • Der Aussagewert der Stichprobeninventur muss dem einer gewöhnlichen Inventur gleichkommen:
    An die Lagerbuchführung werden die gleichen Anforderungen wie bei der Durchführung einer permanenten Inventur gestellt. Bei der Prüfung werden sowohl die Inventur als solche als auch die Erfassung von Ab- und Zugängen und Qualitätsminderungen in Augenschein genommen.
    Das Verfahren der Stichprobeninventur wird vor der Anwendung derselben auf Stimmigkeit überprüft. Während der körperlichen Aufnahme der Stichprobenelemente ist ein Prüfer anwesend und kontrolliert diese. Auch wenn Mehr- und Minderbestand sich gegenseitig ausgleichen und der Gesamtwert des Lagers somit korrekt ist, kann die Inventur aufgrund einer unzuverlässigen Buchführung zurückgewiesen werden.

    Bezüglich des Gesamtwertes, muss dieser mit einer Aussagewahrscheinlichkeit von 95% bis auf eine Abweichung von 1% genau bestimmt werden. Bezüglich eines Einzelnachweises, muss dies über eine entsprechend zuverlässige Buchfortschreibung erfolgen. Weichen die IstWerte von den Buch-Werten zu stark ab, ist also die Bestandszuverlässigkeit zu gering, muss die Inventur daher auch bei einem zulässigen Gesamtwert verworfen werden. Auch muss die Inventur verworfen werden, wenn zu einer Wahrscheinlichkeit von 95% eine Abweichung größer als 3% vorliegt. (IDW, 1981, S. 72f)

Zulässigkeit einer Stichprobeninventur in anderen Ländern

Vereinfachte Inventurverfahren sind durch das Obligationenrecht OR 9581 auch in der Schweiz und das Unternehmensgesetzbuch §192 Abs. 4 UGB in Österreich anerkannt.

In Betrieben in osteuropäischen Ländern ist der Einsatz der Stichprobeninventur gegenwärtig nur möglich, wenn die Bilanzierung in den Heimatländern Deutschland, Österreich oder Schweiz erfolgt.

In allen anderen Ländern der EU bedarf es einer Klärung und Abstimmung mit den Wirtschaftsprüfern und/oder den Finanzbehörden.

Ordnungsmäßigkeit einer Stichprobeninventur

Zusätzlich zu den o.g. allgemein geltenden gesetzlichen Grundlagen und den Empfehlungen des IDW zur Durchführung einer Inventur – und dabei insbesondere einer Stichprobeninventur – sind auch organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um die Ordnungsmäßigkeit dieser Vorgänge zu gewährleisten.

Bestimmung der Grundgesamtheit

„Zu prüfen ist, ob die Grundgesamtheit eindeutig abgegrenzt ist. Dabei ist zu beachten, ob – je nach Ausgestaltung des internen Kontrollsystems – leicht verderbliche, besonders hochwertige und andere, nicht in die Stichprobe einzubeziehende Artikel in der Stichprobe enthalten sind“. (IDW, 1981, S. 76)

Nach (IDW, 1981, S. 63) gilt: „Läger mit unterschiedlich zuverlässigen Bestandsführungen sollten als getrennte Inventur Grundgesamtheiten behandelt werden.“ Zu beachten ist hierbei, dass (IDW, 1981, S. 63f) „sich die einzelnen Elemente nur im Hinblick auf die zu untersuchende Merkmalausprägung voneinander unterscheiden“ dürfen. In jedem Fall ist vor der Anwendung der Stichprobeninventur eine eindeutige Abgrenzung der Grundgesamtheit vorzunehmen.

Um besonders hohe und besonders niedrige Werte aus der Stichprobeninventur auszuschließen und damit das Risiko der Inventur zu mindern, wird für die Grenzbereiche eine Vollinventur erhoben. Dazu gehören zum einen alle Inventur-Positionen ohne Soll-Menge und zum anderen die 5 % wertvollsten Artikel, die in den meisten Lägern einen Wert von ungefähr 50 % des Lagers ausmachen. Hierdurch erfüllen wir die in (IDW, 1981, S. 69) definierte Maßgabe: „Dabei wird im Allgemeinen wegen des „Lagerphänomens“ ein Vollerhebungsanteil von 3 bis 5% der Lagerpositionen ausreichen, um 45 bis 50% des Gesamtwerts des Lagerkollektivs zu erfassen.“

Jedes Element einer Grundgesamtheit muss die Chance haben, in einer Stichprobe ausgewählt zu werden. In welcher Weise Elemente ausgewählt werden, legen die mathematisch-statistischen Methoden fest. Für den Stichprobenumfang wird von den mathematisch-statistischen Methoden ein Minimum definiert, mit dem die gewünschte Aussagewahrscheinlichkeit eingehalten wird.

Wichtig ist in diesem Kontext auch die Zufälligkeit der Stichprobe, da (IDW, 1981, S. 65) „nur dann die Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung bei der Auswertung der Stichprobeninformationen angewandt werden können.“

Verteilungsannahmen

Die mathematisch-statistischen Stichprobenverfahren unterstellen in der Regel ein theoretisches Verteilungsmodell. Die mathematisch-statistische Aussage ist dann nur zutreffend, wenn bei der Ermittlung des Inventars auf Stichprobenbasis das zugrundeliegende Verteilungsmodell erfüllt ist. Es muss deshalb sowohl vor der Stichprobenziehung als auch nach der Auswertung der Stichprobe überprüft werden, ob die Voraussetzungen für das angewandte Verfahren eingehalten werden. Eine dokumentierte Strukturanalyse der Grundgesamtheit und der Stichprobe kann hierfür wertvolle Informationen liefern. Die Verfahren […] setzen in der Regel das Modell der Normalverteilung voraus “ (IDW, 1981, S. 67)

Ziehung von Stichproben

In (IDW, 1981, S. 65) wird zur Ziehung von Stichproben angegeben:

„Voraussetzung für die Anwendung sämtlicher mathematischer Stichprobenverfahren ist es, dass die einzelnen Elemente einer Stichprobe zufallsgesteuert aus den einzelnen Elementen (Lagerpositionen) einer genau abgegrenzten Grundgesamtheit (Lagerkollektiv) ausgewählt werden […]. Das bedeutet, dass

  • bei der sog. ungeschichteten Zufallsauswahl jede Lagerposition die gleiche von Null verschiedene Chance haben muss, in die Stichprobenauswahl zu gelangen bzw.
  • bei der sog. geschichteten Zufallsauswahl jede Lagerposition eine berechenbare, von Null verschiedene Chance haben muss, in die Stichprobenauswahl zu gelangen.

Als Auswahlverfahren kommen das Losverfahren, das Zufallszahlenverfahren, die systematische Auswahl mit Zufallsstart, das Schlußziffernverfahren usw. in Betracht.“

Es gibt also einmal die freie Zufallsauswahl und die geschichtete Zufallsauswahl.

Bezüglich des Gesamtwertes, muss dieser mit einer Aussagewahrscheinlichkeit von 95% bis auf eine Abweichung von 1% genau bestimmt werden.

Anzahl Stichproben

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW, 1981, S. 68) bezeichnet eine Anzahl von 100 Stichproben als minimal: „Bei der Mittelwertschätzung sollte beispielsweise der Stichprobenumfang 100 Stichprobenelemente im Fall der geschichteten Hochrechnung und 250-300 Stichprobenelemente im Fall der gebundenen Hochrechnung im allgemeinen nicht unterschreiten.“

Stichprobeninventur Zählungsumfang

Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung e.V. (AWV, 1978, S. 20) wird des Weiteren 2% der Gesamtgröße 𝑁 als Minimum für die Größe der Stichprobe 𝑛 angesehen: „Für den Umfang der Stichprobe n aus den Positionen, die per Stichprobe aufgenommen und bewertet werden […] gilt im Normalfall aus Sicherheitsgründen der Grundsatz Minimum [sic] für n aus N 2% der Positionen.“

Körperliche Aufnahme der Bestände

„Wegen der Hochrechnung der durch die Stichprobe gewonnenen Ergebnisse sind an die Aufnahmearbeiten erhöhte Anforderungen zu stellen. Die körperliche Aufnahme sollte deshalb besonders sorgfältig geplant, durchgeführt und überwacht werden“. (IDW, 1981, S. 62). Immer Vollaufzunehmen sind (IDW, 1981, S. 63):

  • „leicht verderbliche Gegenstände
  • besonders wertvolle Gegenstände
  • Gegenstände mit Neigung zu unkontrolliertem Schwund
  • schlecht gelagerte Gegenstände
  • Negativpositionen
  • Positionen, die nicht wenigstens einmal im Jahr bewegt wurden, sofern die körperliche Aufnahme zur Bestimmung ihres Wertes erforderlich ist.“
  • Artikel, die (IDW, 1981, S. 63) „nicht mehr oder noch nicht gelagert werden (Scheinpositionen).“

Des Weiteren sieht (IDW, 1981, S. 69) vor, dass die wertvollsten 3 bis 5% des Lagers vollaufgenommen werden sollten, „um 45 bis 50% des Gesamtwerts des Lagerkollektivs zu erfassen.“

Gültigkeit der Stichprobenziehung

Weichen die Ist-Werte von den Buch-Werten zu stark ab, ist also die Bestandszuverlässigkeit zu gering, muss die Inventur auch bei einem zulässigen Gesamtwert verworfen werden. Auch muss die Inventur verworfen werden, wenn zu einer Wahrscheinlichkeit von 95% eine Abweichung größer als 3% vorliegt. (IDW, 1981, S. 72f).

„Bestätigt ein mathematisch-statistischer Test die Nullhypothese („Lagerbuchführung bestandszuverlässig“), so kann die Lagerbuchführung als Ausgangsgrundlage für das Inventar übernommen werden. Dies ist jedoch auch bei diesem Verfahren nur dann zulässig, wenn im Übrigen keine Zweifel an der Aussagefähigkeit der Lagerbuchführung (Funktionsfähigkeit des internen Kontrollsystems, Anzahl und Höhe der Einzeldifferenzen u.ä.) bestehen.“ (IDW, 1981, S. 75).

Ordnungsmäßigkeit des Sequenzialtests

Sequenzialtests bieten sich für Läger an, deren Korrektheit sehr hoch ist. Dabei entspricht der Stichprobenumfang im Idealfall der Mindeststichprobenmenge (abhängig von Parametern – üblicherweise 35 Positionen), unabhängig von der Gesamtmenge an Lagerpositionen. Bei Abweichungen zur Sollmenge müssen weitere Stichproben gezogen werden und die Stichprobenmenge wird erhöht. Dies ist zu beachten, da hier der Aufwand theoretisch unbegrenzt ist. Somit kann dieser in ungünstiger Situation höher sein als der Aufwand einer Vollinventur.

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